Mit dem Governance-Begriff verbindet sich die Diagnose eines anhaltenden Wandels von Staatlichkeit. Veränderungen werden insbesondere im Hinblick auf die Formen der Regelsetzung und den hieran beteiligten Akteuren beobachtet. Demnach spielen Ko- oder Selbstregulierungsarrangements eine zunehmend wichtige Rolle bei allgemein verbindlichen Entscheidungen. Vor allem bei grenzüberschreitenden, internationalen Regelungen wird eine Verlagerung politischer Autorität zugunsten privater Akteure konstatiert (Cutler et al. 1999; Hall/Biersteker 2002; Kahler/Lake 2003; Graz/Nölke 2008). Unser Beitrag wirft einen vergleichenden Blick auf zwei aktuelle Beispiele transnationaler Selbstregulierung, die in der neueren Literatur als einschlägige Fälle privater Koordination gelten. Dem Vergleich liegt die Annahme zugrunde, dass die Beziehung zwischen öffentlicher Hierarchie und privater Selbstorganisation keine statische ist, sondern kontinuierlich zwischen den Akteuren ausgehandelt werden muss. Mit Hilfe des Vergleichs wollen wir Facetten und Ursachen dieser Aushandlungsprozesse empirisch beschreiben, um Aussagen über das Wechselverhältnis von privater und öffentlicher Autorität treffen zu können. Dies führt uns zu einer Dynamisierung der Governance-Perspektive. Die erste Fallstudie befasst sich mit der Regulierung der Infrastruktur des Internet. Ein ursprünglich von der US-Regierung entwickeltes Modell sah eine vollständige Delegation und Privatisierung der Vergabe von Internetadressen vor. Ein privates Unternehmen wurde mit der Aufgabe betraut, ein „Vertragsnetz“ mit allen beteiligten Akteuren zu etablieren. Dem anfänglichen Optimismus ob der Selbstorganisationsfähigkeit der Internetnutzer und -betreiber folgte allerdings nach wenigen Jahren Ernüchterung. Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit und Legitimität privater Autorität führten zu ersten Reformmaßnahmen. Seither hat sich um die Frage des angemessenen Verhältnisses zwischen privater und öffentlicher Regulierungsaufsicht eine internationale Diskussion entfaltet, die auf eine stärkere internationale Einbettung privater Selbstregulierung hindeutet. Das zweite Fallbeispiel zeichnet die Genese grenzübergreifender privater Standards für die Erstellung von Unternehmensbilanzen nach. Entstanden aus einem verbandsbasierten und von Experten dominierten Harmonisierungsprojekt mit zunächst freiwilligem Charakter und alternativ zu nationalen Regelungen, entwickelte sich im Laufe von drei Jahrzehnten eine durchsetzungsfähige private Organisation, deren Standards nahezu weltweite Verbreitung gefunden haben und zunehmend verbindlich werden. Die Entwicklung des ursprünglich freiwilligen Standardisierungsprojekts ist zum einen durch eine zunehmende Integration wichtiger – auch kritischer Akteure – gekennzeichnet. Zum anderen ist eine Rückbindung an öffentliche Hierarchie zu beobachten, vor allem dort, wo die Anerkennung transnationaler Standards1 stattgefunden hat.
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Hofmann, J. (2007). Transnational Self-Regulation in the Shadow of Hierarchy. In 2nd Annual Giganet Symposium. Rio de Janeiro, Brazil.
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