Die nachfolgenden Überlegungen beschäftigen sich mit dem Wandel von Diskursen und dem Wandel durch Diskurse am Beispiel der sozialwissenschaftlichen Umwelt- und Risikodiskursforschung, die sich seit den frühen 1990er Jahren in der internationalen soziologischen Forschung etabliert hat. Gesellschaftlicher beziehungsweise sozialer Wandel ist ein Grundthema der Soziologie seit Anbeginn. Soweit ich sehe, wird dieses Thema dort überwiegend in dreierlei Weise behandelt: Zum einen findet sich der großformatige diagnostische Blick auf Wandlungsprozesse gesamtgesellschaftlicher Konstellationen oder Konfigurationen, der üblicherweise als Zusammenschau ohne konkrete Empirie angelegt ist (etwa der Übergang zur modernen Gesellschaft, der die Klassiker der Soziologie beschäftigte; oder auch die Frage nach der gegenwärtigen Globalisierung der gesellschaftlichen Beziehungen); daneben stehen indikatorengestützte deskriptive Formen der Gesellschaftsbeobachtung, die demographische Merkmale, Einstellungs- und Verhaltensänderungen oder sonstige quantifizierbare Größen in den Blick nehmen und dann beispielsweise von postmateriellen Werten, von der alternden Gesellschaft usw. sprechen, das heißt Veränderungen im Rahmen ihrer Messgrößen feststellen. In beiden Ansätzen werden schließlich drittens Theoreme zur Verfügung gestellt, die auf Ursachen oder Antriebskräfte des Wandels zielen: der Klassenkampf, die Arbeitsteilung, die Bedürfnisbefriedigung, die Rationalisierung usw. Der Diskursbegriff bietet hier – so lautet meine vornehmlich an die Soziologie adressierte, aber auch für andere Wissenschaftsdisziplinen relevante These – eine vierte Möglichkeit der Analyse. Gesellschaftlicher Wandel ist für Individuen und Organisationen nicht nur ein „Handlungsproblem (Hitzler 1999; Poferl 2004), sondern ebenso sehr und vielleicht sogar primär ein Deutungsproblem.
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Keller, R. (2010). Wandel von Diskursen – Wandel durch Diskurse. In Diskursiver Wandel (pp. 69–87). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92526-4_4
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