Auf dem Weg zu einer kultursoziologischen Analytik zwischen Praxeologie und Poststrukturalismus

  • Reckwitz A
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"Wissenschaftliches Arbeiten kommt nicht ohne affektive Orientierungen aus. Folgt man Max Weber, dann stellen sich die modernen Institutionen zwar auf den ersten Blick als Rationalmaschinen dar, als Orte der scheinbar affektfreien formalen Rationalität, unter denen das wissenschaftliche Feld mit seiner institutionalisierten Teleologie der empirischen Überprüfung von Hypothesen, seinem ‚Willen zur Wahrheit’ herausragt. Bei näherer Betrachtung gilt jedoch für alle gesellschaftlichen Sphären der Moderne, gerade für die scheinbar rationalsten wie die kapitalistische Ökonomie, den Staat und die Politik, schließlich für die Wissenschaft, dass sie ohne spezifische affektive, libidinöse Orientierungen nicht auskommen, welche die Individuen motivieren, an ihnen zu partizipieren. Während die Affektivität der modernen Ökonomie – die Lust am Exzess der Konsumtion, das Spektakel des riskanten Marktes, die Befriedigung des Arbeitens im Kollektiv oder im Projekt –, ebenso wie die Affektivität der modernen Politik – die Produktion von kollektiven Identitäten, die Inszenierung von Macht und Zukunftshoffnung, die Lust am Kampf – mehr und mehr ins Bewusstsein getreten sind (vgl. insgesamt Massumi 2002), bleiben die untergründigen libidinösen Orientierungen der Wissenschaften zu entdecken. Die allmähliche Entstehung der gegen die Blutleere der Scholastik gerichteten modernen Naturwissenschaften im Renaissance-Humanismus (vgl. Zilsel 1992) ist so kaum begreifbar ohne die exzentrische Lust am spielerischen Experiment, am praktischen Umgang mit den konkreten Dingen und am Umstürzen von Vorurteilen. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben ihre spezifischen Affektivitäten ausgebildet, die Roland Barthes’ „Lust am Text“ (Barthes 1974) ebenso einschließen wie die Lust an der (Herrschafts-) Kritik".

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Reckwitz, A. (2010). Auf dem Weg zu einer kultursoziologischen Analytik zwischen Praxeologie und Poststrukturalismus. In Kultursoziologie (pp. 179–205). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92300-0_8

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